Film und Diskussion: „Pride“

SchiffRegie: Matthew Warchus
Spielfilm, GB 2014

Dienstag, 29. Oktober 2022, 19:30 Uhr
Hörsaal V, Uni-Hauptgebäude

Großbritannien 1984: Die erzkonservative Premierministerin Margaret Thatcher schickt sich an, mit ihrem durch und durch reaktionären, ideologischen Programm das neoliberale Gesellschäftsmodell auch in Europa durchzusetzen. Für die absolute Freiheit des Kapitals wird alles, was auch nur annäherungsweise an die Gleichheit der Menschen, an gesellschaftlich progressive Alternativen, an kritische Organisiertheit oder non-konforme Lebenspraxis erinnert, als Teufelszeug gebrandmarkt, verächtlich gemacht und verfolgt. Nicht zuletzt sollen alle sozialen Errungenschaften zerstört und die Gewerkschaften zerschlagen werden.

Gegen die so gezielt betriebene Privatisierung des traditionell arbeiterbewegt organisierten Kohlebergbaus regt sich entschiedenster Widerstand: In dem berüchtigt gewordenen „Miner’s strike“ bieten die Kumpel („Pits“) dem rabiaten Regime die Stirn. Unterstützung erfahren sie von unerwarteter Seite, den „Perverts“: Die Lesben und Schwulen des urbanen London haben ihre „ganz eigenen“ Sorgen – weitgehende Rechtlosigkeit, Stigmatisierung durch eine verknöcherte, vorurteilsbeladene Mehrheitsgesellschaft, Verfolgung durch Polizei und Boulevard-Presse und Lebensbedrohung durch HIV und die Verwehrung adäquater medizinischer Versorgung. Dennoch gründet sich eine Gruppe um den Kommunisten Mark Ashton, der als Erster die Gemeinsamkeiten der beiden Kämpfe erkennt: die LGSM („Lesbians and Gays Supporting the Miners“). Sie organisieren Geld für ein walisisches Bergarbeiterdorf im Streik. Im gemeinsamen Kampf lernen beide Seiten voneinander: Die liberalen, hedonis schen städtischen Outlaws gewinnen soziale und politische Bodenhaftung, die kampferprobten Arbeiter stellen ihre tradierte kulturelle Engstirnigkeit zunehmend in Frage.

Die neu im Kampf gegen die gemeinsame Unterdrückung, gegen alle Feindseligkeit, Intriganz und Missgunst geschaffene Egalität lässt die Persönlichkeiten (über sich hinaus) wachsen. Der Streik, der als der unnachgiebigste, längste und international die größte Aufmerksamkeit entfaltende Streik in die Geschichte einging, scheitert zwar letzten Endes – er hat aber pratisch den Nährboden für die mittlerweile weltweite Infragestellung des Neoliberalismus wesentlich mit geschaffen. Die Verbundenheit der Lesbians, Gays und Miners sorgte dafür, dass 1985 ins Labour-Programm zum ersten Mal der Kampf für die Rechte von Schwulen und Lesben aufgenommen wurde.

Der (sehr britische) Spielfilm zeigt in famoser Zeichnung der Zeit, der Charaktere und ihrer Entwicklung diese wahre Geschichte als eindringliches Lehrstück für heutige Kämpfe: Soziale Progression und kulturelle Emanzipation bilden eine Einheit; Freundschaft kann tatsächlich „Berge versetzen“; Kultur- und Geschichtsbewusstsein überwinden die Resignation; der solidarische Kampf sprengt alle Ketten – der Mensch wächst mit der allseitigen Entfaltung seiner Gesellschaftlichkeit. Es darf dabei auch herzhaft gelacht werden.

„Wenn wir zusammen gehn, kommt mit uns ein bessrer Tag.
Die Menschen die sich wehren, wehren aller Menschen Plag.
Zu Ende sei, dass kleine Leute schuften für die Großen!
Her mit dem ganzen Leben: Brot und Rosen! Brot und Rosen!“

„Bread and Roses“, Lied der streikenden Tex larbeiterinnen von Lawrence, MA, USA (1912), Übers.: Peter Maiwald, 1978.